Berufsethik
Freiwillige Ethik oder Pflicht-Kodex?
In Deutschland gibt es sowohl eine nicht rechtsverbindliche Berufsethik als auch ein ebenso unverbindliches Berufsregister für die Soziale Arbeit. Im Vereinigten Königreich ist der Eintrag ins Berufsregister rechtlich verbindend und geht mit der Anerkennung einer vereinfachten Berufsethik einher. Was ist der Unterschied beider Systeme mit Blick auf Berufsregister und Berufsethiken? Welche Impulse kann die Soziale Arbeit in Deutschland durch die Vorgehensweise auf den britischen Inseln bekommen?
Im ersten Teil werde ich die Berufsregister beider Länder vergleichen, im zweiten Teil einen Blick auf den Umgang mit Berufsethiken werfen, um im Fazit nach Impulsen des internationalen Vergleichs für die deutsche Praxis zu fragen.
Berufsregister im Vergleich
Im England – und parallel in den anderen Ländern des Vereinigten Königreichs – ist der Eintrag in ein Berufsregister für alle Sozialarbeiter*innen verpflichtend. Das Berufsregister wird von „Social Work England“ geführt (HM Government o. J.). Mit dem Eintrag geht die Anerkennung eines „Code of Conduct“ einher, der mit einer Berufsethik vergleichbar ist (Social Work England 2019). Außerdem gibt es die Möglichkeit, Mitglied im Berufsverband für Sozialarbeiter*innen, der „Britisch Association for Social Work“ zu werden und damit dessen Berufsethik anzuerkennen (British Association of Social Workers (BASW) 2021).
In Deutschland ist die Struktur auf den ersten Blick nur leicht anders: Sozialarbeiter*innen benötigen eine staatliche Anerkennung, die allerdings nur die Qualifizierung bescheinigt (Stock u. a. 2019: 394 f.), nicht jedoch mit der Anerkennung einer Berufsethik einhergeht. Lassen sich Sozialarbeiter*innen in das „Berufsregister für Soziale Arbeit“ eintragen, so erkennen sie die Berufsethik des DBSH an (Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit (DBSH) o. J.; Greune u. a. 2014). Gleiches gilt für einfache Mitglieder des DBSH. Sowohl Mitgliedschaft im DBSH als auch der Eintrag ins Berufsregister sind freiwillig und in keiner Weise staatlich reglementiert. Es ist nicht bekannt, dass Arbeitgeber*innen nach einem Eintrag ins Berufsregister fragen, relevant ist stattdessen die staatliche Anerkennung.
Somit ist die Anerkennung einer Berufsethik für Sozialarbeiter*innen in Deutschland freiwillig, im Vereinigten Königreich über den obligatorischen Eintrag ins Berufsregister verbindlich.
Umgang mit Berufsethiken
Die Notwendigkeit einer handlungsleitenden Berufsethik für die Soziale Arbeit ist unumstritten (Reamer 2018: 53; von Spiegel 2021: 63f.). Wurden im angloamerikanischen Raum bereits um 1920 Berufsethiken diskutiert (Reamer 2018: 53), so ist seit den 1970er Jahren ein wachsendes Interesse an der Thematik zu erkennen (Green und Carey 2013: 12). Im Vereinigten Königreich wurde 1974 eine erste Berufsethik verabschiedet (BASW 2021: 3), in Deutschland erst über 20 Jahre später, im Jahr 1997 (Lob-Hüdepohl und Lesch 2007: 362). Beide Ethiken haben sich in späteren Überarbeitungen inhaltlich an die Parameter der Berufsethik der International Federation of Social Workers (IFSW) angepasst (Greune u. a. 2014: 29; International Federation of Social Workers (IFSW) 2018; BASW 2021: 3).
Neben den inhaltlich vergleichbaren Berufsethiken der Berufsverbände bietet das britische System eine Besonderheit: eine vereinfachte, gut lesbare und leicht nachvollziehbare Berufsethik, die unter dem Titel „Code of Conduct“ für alle Sozialarbeiter*innen rechtlich verbindlich ist (Social Work England 2019, o. J.). Wird die Berufsethik der BASW als „too grandiose in some areas and too detailed in others” (Petrie zitiert nach Green & Carey 2013: 13) beschrieben, so wird genau diese Problematik mit dem Code of Conduct gelöst: er ist praxisnah und knapp formuliert, vieles bleibt der freien Ausgestaltung im Arbeitsalltag überlassen.
Fazit
Eine Berufsethik ist aktuell in Deutschland stark beschränkt auf Diskussionen im Berufsverband DBSH. Dieser plant, den Diskurs zu öffnen (Greune u. a. 2014: 34). Doch es ist anzunehmen, dass auch hierzulande die gleiche Kritik wie im Vereinigten Königreich aufkommen könnte: eine überladene, zu detaillierte Berufsethik, die zu fern von der dynamischen Berufspraxis ist (Green und Carey 2013: 13f.). Eine Lösung könnte ähnlich wie auf den britischen Inseln aussehen: neben einer umfassender nicht rechtsverbindlichen Berufsethik einen an der Berufsethik orientieren, leicht verständlichen Verhaltenskodex zu entwickeln, der mit einem Eintrag in ein verpflichtendes Berufsregister anerkannt werden muss.
Literaturverzeichnis
British Association of Social Workers (BASW) (2021): The BASW Code of Ethics for Social Work, Birmingham: The British Association of Social Workers
Deutscher Berufsverand für Soziale Arbeit (DBSH) (o. J.): Berufsregister für Soziale Arbeit - Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit e.V. - DBSH, [online] https://www.dbsh.de/profession/berufsregister-fuer-soziale-arbeit.html [26.12.2024].
Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit (DBSH) (2014): Berliner Erklärung. https://www.dbsh.de/profession/berufspolitische-veroeffentlichungen/berliner-erklaerung.html [26.12.2024]
Green, Lorraine; Carey, Malcolm (2013): Practical Social Work Ethics, Professionalism and Ethical Space, in: Practical Social Work Ethics: Complex Dilemmas Within Applied Social Care, Farnham, Surrey: Ashgate.
Greune, Thomas; Maus, Friedrich; Schumacher, Thomas; u. a. (2014): Berufsethik des DBSH, in: Forum Sozial, Nr. 4, S. 3–50.
HM Government (o. J.): Regulated Professions Register: Social Worker, [online] https://www.regulated-professions.service.gov.uk/professions/social-worker-3 [13.12.2024].
International Federation of Social Workers (IFSW) (2018): Global Social Work Statement of Ethical Principles – International Federation of Social Workers, [online] https://www.ifsw.org/global-social-work-statement-of-ethical-principles/ [26.12.2024].
Lob-Hüdepohl, Andreas; Lesch, Walter (Hrsg.) (2007): Ethik Sozialer Arbeit, Paderborn: Ferdinand Schöningh.
Reamer, Frederic G. (2018): Ethical Dilemmas and Decision Making: A Framework, in: Social Work Values and Ethics, 5., überarbeitete Auflage, Columbia University Press: Columbia University Press.
Social Work England (2019): Professional Standards, Sheffield: Social Work England.
Social Work England (o. J.): Professional standards guidance, Social Work England, [online] https://www.socialworkengland.org.uk/standards/professional-standards-guidance/ [13.12.2024].
von Spiegel, Hiltrud (2021): Methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit: Grundlagen und Arbeitshilfen für die Praxis, München: UTB.
Stock, Christof; Schermaier-Stöckl, Barbara; Klomann, Verena; u. a. (2019): Soziale Arbeit und Recht. Lehrbuch, 2. Auflage, Baden-Baden: Nomos.
.