Resilienz

Welche Relevanz haben das Resilienzmodell und Resilienzförderung für die Eingliederungshilfe (EGH) nach dem SGB IX für Erwachsene mit (drohenden) körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderungen?

Auf die Rolle, die Resilienz im Angesicht von Vulnerabilität spielt, möchte ich mich mit diesem Text befassen und das Konzept der Resilienz aus der Perspektive der Eingliederungshilfe genauer betrachten. Dabei gehe ich der Frage nach, welche Relevanz das Resilienzmodell und Resilienzförderung für die Eingliederungshilfe nach dem Neunten Sozialgesetzbuch (SGB IX) für Erwachsene mit (drohenden) körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderungen haben kann. Das Resilienzmodell stellt zunächst die theoretischen und in Form der Resilienzforschung die empirischen Grundlagen dar. Die Resilienzförderung leitet sich aus dem Resilienzmodell ab und stellt den praktischen und handlungsorientierten Teil des Konzepts der Resilienz dar, Resilienzmodell und Resilienzförderung sind gewissermaßen zwei Seiten der gleichen Medaille. Dieser konzeptionellen Dualität folgend werde ich im ersten Teil das Resilienzmodell beleuchten und einen Blick auf die Resilienzforschung und ihre Relevanz für Adressat*innen der Eingliederungshilfe herausarbeiten, um dann im zweiten Teil auf die praktische Umsetzung in Form von Resilienztrainings zu schauen und ihre Anwendbarkeit im Rahmen der Eingliederungshilfe zu diskutieren.

Theoretische Einordnung: Resilienzforschung und Eingliederungshilfe

Als wissenschaftliche Basis, auf deren Grundlage praktische Resilienzförderung stattfinden kann, werde ich zunächst nach der Relevanz des Resilienzmodells und der Resilienzforschung für Adressat*innen der Eingliederungshilfe fragen. Nach einem Blick auf die Definition des psychologischen Resilienzmodells fasse ich die Resilienzforschung vorrangig mit Bezug zu psychischen Erkrankungen und Behinderungen zusammen und beziehe sie hiermit auf die Zielgruppen der Eingliederungshilfe.

Das psychologische Resilienzmodell

Wenn ich im Folgenden zunächst auf für die Psychologie relevante wissenschaftliche Definitionen des Begriffs „Resilienz“ eingehe, so ist vorwegzunehmen, dass der Begriff eine Vielzahl an Bedeutungen hat (Welter-Enderlin 2010: 30). Im Bewusstsein vielfältiger Bedeutungen werde ich den Begriff aus zwei Perspektiven – und zwar nach Welter-Enderlin (2010) und Blickhan (2018) darstellen. Die Auswahl dieser beiden Autorinnen erfolgte aufgrund ihrer wissenschaftlichen Vorrangstellung auf dem Gebiet der Resilienzforschung im Bereich der Psychologie und Psychotherapie (Welter-Enderlin) sowie in der Disziplin der Positiven Psychologie (Blickhan) im deutschsprachigen Raum. Des Weiteren werde ich auf Vorläufer-Modelle verweisen und den aktuellen Forschungsstand zusammenzufassen.

Welter-Enderlin (2010) versteht unter Resilienz die Fähigkeit „Krisen im Lebenszyklus unter Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen zu meistern und als Anlass für Entwicklung zu nutzen“ (143). Diese Fähigkeit beschreibt sie nicht als Eigenschaft, sondern als einen aktiven Prozess, der in Individuen ebenso wie in Familien stattfinden kann (22, 143 f.). Maßgeblich zur Entwicklung von Resilienz seien Schutzfaktoren wie positive Vorbilder, gute Beziehungen zu Vertrauenspersonen, Eigenverantwortlichkeit, auf Gegenseitigkeit angelegte Beziehungen, Selbstvertrauen, Überwindung von Opferrollen, langfristige Lebensziele und Selbstfürsorge (20). Diese Schutzfaktoren sind Ressourcen und Fähigkeiten, die ein Mensch erwerben kann, um damit Krisen zu meistern (30) ohne sich davon „zerstören zu lassen […], sich zu biegen, ohne zu zerbrechen“ (22).

Blickhan (2018) beschreibt Resilienz als die Fähigkeit, eine „persönliche Lebenskrise (…) ohne anhaltende Beeinträchtigungen durchzustehen“ (61) und Positives neben Negativem wahrnehmen zu können (67). Dabei analysiert sie die biologische, neurophysiologische und psychologische Dimension von Resilienz. Aus biologischer Perspektive ist ein Organismus resilient, der sich nach einer Belastungssituation schnell wieder normalisiert (62). Neurophysiologische Resilienz hingegen bezieht sich auf die Entwicklung emotionaler Gewohnheiten, die sich im Gehirn spiegeln (65). Relevant für die psychologische Resilienz sind die konstruktive Verarbeitung vergangener Erfahrungen, die Fähigkeit angemessener Risikoeinschätzung und realistische und konstruktive Zukunftserwartungen (67). Resilienz basiert für Blickhan sowohl auf inneren Einstellungen wie Optimismus und Lösungsorientierung als auch auf Fähigkeiten, Handlungen zu gestalten, wozu unter anderem die Übernahme von Verantwortung und das Verlassen einer Opferrolle gehören (62). Sie bezieht sich bezüglich der psychologischen Resilienz auf Reivich und Shatté (2003), die maßgeblich das ‚PENN Resiliency Program‘ im Fachbereich Positive Psychologie an der University of Pennsylvania (UPenn) mitgestaltet haben (Blickhan 2018: 66).

Blickhan, Reivich und Shatté sowie Welter-Enderlin sind zeitgenössische Vertreter*innen der Resilienzforschung, gewissermaßen in der zweiten Generation. Als einer der Pioniere wird der Neurologe und Psychiater Victor Frankl genannt, auch wenn sich der Begriff „Resilienz“ an keiner Stelle in seinem Werk finden lässt (Batthyány, 2022, 10). Konzepte wie Salutogenese, Coping oder Autopoeise erscheinen dem Resilienzmodell verwandt und sind sicher nicht ohne Einfluss auf dessen Entwicklung. Diese Konzepte verbindet mit dem Resilienzmodell, dass sie einen alternativen Blick auf das Selbst und die Welt jenseits einer Defizitorientierung ermöglichen (Welter-Enderlin 2010: 143). Als erste grundlegende Studie zur Resilienz gilt die Kauai-Studie von Emmy Werner (Werner und Smith 1992). In dieser Langzeitstudie wurden knapp 700 Menschen über einen Zeitraum von mehr als drei Jahrzehnten begleitet und die Auswirkung von biologischen und sozio-psychologischen Risikofaktoren im Kindesalter auf die Entwicklung im Erwachsenenalter erforscht. Die Studie ging der Frage nach, warum sich manche Erwachsene mit schwierigen Kindheiten positiv entwickeln und Erfolg im Leben haben, andere jedoch lebenslang unter großen Schwierigkeiten litten. Die Ergebnisse geben Aufschluss über die Grundzüge des Resilienzmodells  (Reivich und Shatté 2003: 31f.; Welter-Enderlin 2010: 17; Werner und Smith 1992). Werner und Smith (1992) fassen die Ergebnisse in aller Kürze zusammen, wenn sie feststellen, dass aufgrund der Entwicklung von Resilienz- und Schutzfaktoren “one out of every three of these high risk children […] had developed into a competent, confident, and caring young adult by age 18” (1ff.).

Zur Langzeitstudie von Werner gesellte sich eine Vielzahl kleinerer sozialwissenschaftlicher Studien bereits in den 1960er-Jahren über entwicklungspsychologische Studien in den 1980er-Jahren bis zu Studien in der jungen Disziplin der Positiven Psychologie nach 2000 (Blickhan 2018: 67; Murray und Doren 2014: 182). So verweist Blickhan (2018: 67) auf eine Studie aus dem Jahr 2004, die belegt, dass resiliente Menschen in herausfordernden Situationen schneller wieder in ein emotionales und biologisches Gleichgewicht zurückkehren. Lindert et. al. (2018: 763 f.) haben mehrere Längsschnittstudien, an denen sie zum Teil selbst beteiligt waren, untersucht und dabei festgestellt, dass Resilienzverläufe im Laufe des Lebens Veränderungen unterliegen und nur schwer gegenübergestellt werden können. Vor allem in Bezug auf eine global anwendbare Resilienzmessung sehen sie noch enormen Forschungsbedarf. Weitzel et. al. (2022) gehen in einer Studie mit knapp 5000 Teilnehmenden der Frage nach, durch welche soziodemografischen Faktoren Resilienz gestärkt wird und kommen zu dem Ergebnis, dass neben Faktoren wie Bildung und Beschäftigung auch stabile und unterstützende soziale Netzwerke eine wichtige Voraussetzung für Resilienz darstellen (1, 6, 8). Zahlreiche Studien beschäftigen sich mit dem Verhältnis von Resilienz und psychischen Erkrankungen. Sie kommen zu dem Schluss, dass Resilienz ein wesentlicher Faktor in der Rehabilitation psychisch kranker Menschen ist (Cutuli u.a. 2006b; Dambacher u.a. 2022; Linnemann u.a. 2022; Marschollek und Bonnet 2021; Siegmann u.a. 2018; Wartelsteiner u.a. 2016). Auf das Verhältnis von Resilienz und psychischen Erkrankungen werde ich im folgenden Abschnitt mit Bezug auf Adressat*innen der Eingliederungshilfe genauer eingehen.

Resilienzforschung mit Relevanz für Adressat*innen der Eingliederungshilfe

Nennenswerte Resilienzforschung fand bislang innerhalb der Sozialarbeitswissenschaft nicht statt. Relevant für die Eingliederungshilfe sind damit Forschungen in den Bezugswissenschaften der Sozialen Arbeit, die vergleichbare Zielgruppen wie die der Eingliederungshilfe betreffen: Menschen mit körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderungen und solche, die von einer Behinderung bedroht sind, z. B. durch schwere und chronische psychische Erkrankungen (§ 2 Abs. 1 SGB IX). So werde ich nun auf die Resilienzforschung im Kontext von Behinderungen und psychischen Erkrankungen eingehen.

Vor allem begegnen wir im Berufsalltag der Eingliederungshilfe mangelnder Resilienz in der Symptomatik psychischer Erkrankungen, allen voran Depressionen und Suizidalität, Schizophrenien und Suchterkrankungen. Frankl (2022) stellt fest, dass „die Depression der jungen Leute darauf zurückzuführen war, dass sie sich sagten: Ich bin arbeitslos, folglich bin ich nutzlos, folglich ist mein Leben sinnlos“ (171) und fasst seine Beobachtungen zusammen, dass ein Gefühl der Sinnhaftigkeit selbst in prekären Lebenslagen Krankheitsverhindernd wirken kann (172). Dahingegen führt ein Gefühl von Sinnlosigkeit in Depression, Sucht und entweder Fremd- oder Autoaggressionen, in letzter Konsequenz Suizid. In der Prävention von Depression und Suizidgefahr beschreibt Frankl Resilienzfaktoren, ohne den Begriff selbst zu verwenden, als Indikatoren für die Genesungschancen: Es kommt darauf an, „wie sehr der betreffende Patient imstande ist, sich im Hinblick auf einen Lebenssinn, auf einen Sinn des Überlebens, den Suizidimpulsen zu widersetzen“ (175). Die Wirksamkeit von Resilienzförderung in der Prävention und Genesung von Depression und Suizidalität wurde in verschiedenen Studien nachgewiesen (Cutuli u.a. 2006a; Marschollek und Bonnet 2021; Siegmann u.a. 2018). Beim Krankheitsbild der Schizophrenie wurde festgestellt, dass die Lebensqualität Betroffener stärker von Faktoren wie Resilienz und Selbstwertgefühl bestimmt ist als von der Ausprägung der eigentlichen Krankheitssymptome (Wartelsteiner u.a. 2016: 362 ff.). Auf den Zusammenhang zwischen Psychosen und Resilienz weist auch Bock (2021) hin: Er stellt fest, dass Psychosen eine Schutzfunktion gegenüber einer als Bedrohung empfundenen Realitätswahrnehmungen haben. Die Frage, wie schnell jemand sich in die Realitätsflucht der Psychose begibt, hängt vor allem auch von der Resilienz der Person ab (80). In Bezug auf Prävention von Suchterkrankungen haben Murray und Dorren (2014) mittels einer Metaanalyse eine hohe Wirksamkeit von Resilienzprogrammen in gefährdeten Gemeinschaften festgestellt (190 f.).

Die Forschung identifiziert eigenständige Resilienzfaktoren bei Menschen mit Behinderungen, die für die Eingliederungshilfe relevant sind:

“(a) awareness and acceptance of one's disability, (b) identifying and implementing strategies to work around limitations/challenges related to disability, (c) a focus on strengths, (c) purposefully choosing environments and using social resources that optimize performance, (d) supportive relationships with mentors, (e) participation and successful completion of core high school English and math courses, and (f) a mastery versus performance goal orientations.” (Murray und Doren 2014: 188)

In Bezug auf Menschen mit Lernbehinderungen wurde Resilienz bislang wenig erforscht, wenn auch hier die Wirksamkeit ebenso unbestritten ist wie bei anderen Bevölkerungsgruppen (Murray und Doren 2014: 183). Dengler (2017) stellt fest, dass die individuelle Resilienz von Menschen mit Lernbehinderungen bewirken kann, dass jemand „bei ähnlich negativen biologischen und psychosozialen Voraussetzungen […] nicht automatisch psychische Störungen bekommt oder herausfordernde Verhaltensweisen zeigt“ (13).

Zusammenfassend kann gesagt werden: Die Forschung bestätigt, dass Resilienz beim positiven Umgang mit der jeweiligen medizinischen/psychiatrischen Symptomatik, bei der Entwicklung und dem Erhalt von Lebensqualität sowie in der Prävention hilfreich ist. Wie sich die praktische Förderung von Resilienz in der Eingliederungshilfe umsetzen kann, werde ich im Folgenden betrachten.

Praktische Umsetzung: Resilienzförderung in der Eingliederungshilfe

Im ersten Teil habe ich, basierend auf der Resilienzforschung, dargestellt, dass für Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen – also den Adressat*innen der Eingliederungshilfe – ein nachweisbarer Zusammenhang von Resilienzfähigkeit und Lebensqualität besteht. Im zweiten Teil soll es nun, basierend auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen des ersten Teils, darum gehen, wie Resilienzförderung in der Sozialen Arbeit konkret aussehen könnte. Hierzu werde ich zunächst einen methodischen Ansatz vorstellen und dessen Umsetzung durch Sozialarbeiter*innen in der Eingliederungshilfe reflektieren.

Überblick über einen methodischen Ansatz

Resilienz hat eine Vielfalt methodischer Ansätze hervorgebracht. Ich möchte hier auf einen wissenschaftlich begründeten Ansatz eingehen, das Pennsylvania Resilienz-Programms (PRP), das im Fachbereich Positive Psychologie an der University of Pennsylvania entwickelt wurde und das als die am meisten erforschte Methodik zur Resilienzförderung gelten kann (Reivich u.a. 2011: 26). Das PRP wird Multiplikator*innen gelehrt, die dafür keine spezifische Ausbildung benötigen (27)[1] und ist auch als Online-Training verfügbar (Reivich o.J.). PRP basiert auf dem Erlernen von sieben aufeinander aufbauenden Skills. Reivich und Shatté (2003) haben nachweisen können, dass nicht alle sieben Skills erlernt werden müssen, sondern dass viele Menschen bereits mit zwei oder drei Skills ihre Resilienz erheblich verbessern (14). So werden im Online-Training (Reivich o.J.) nur einzelne Skills trainiert, in Verbindung mit weiteren Methodiken. Ich werde im Folgenden die sieben Skills kurz darstellen und dann einen Überblick über die Inhalte des Online-Trainings geben.

Bevor die Arbeit mit den Skills beginnt, empfiehlt sich zur Standortbestimmung die Ermittlung des Resilienz-Quotienten (RQ), für den Reivich und Shatté ihren RQ-Test bereitstellen. Der RQ-Test ermittelt auch, in welchen Bereichen und mit welchen Skills eine Person durch Training ihre Resilienz stärken kann (Reivich und Shatté 2003: 33–47). Die Skills lassen sich in zwei Gruppen zusammenfassen: Skills 1 bis 3 beziehen sich auf kognitive Fähigkeiten, also auf die Selbstreflexion, auf das Verstehen des eigenen Denkens und Bewerten von Situationen. Skills 4  bis 7 sind handlungsorientiert und beziehen sich auf konkretes Verhalten (Blickhan 2018: 67).

Die Basis-Skill ist das „Resilienz-ABC“[2], das herausfordernde Situationen in drei Schritten beschreibt[3]: (a) möglichst sachliche und urteilsfreie Beschreibung der herausfordernden Situation, wie ein Konflikt, Teilnahme an sozialen Ereignissen oder der Umgang mit negativen Gefühlen (67 ff.), (b) das Herausarbeiten angelernter Glaubenssätze als Erklärungsversuche der Ausgangssituation, z. B. ein negativer Vergleich mit anderen oder ein Verlustgefühl (74 f.) und (c) die Benennung der Konsequenzen der individuellen Beschreibung der Ausgangssituation: Reivich und Shatté haben herausgefunden, dass Verletzung von Rechten zu Wut führt, Verluste – dazu gehören tatsächliche ebenso wie gefühlte Verluste, wie der Tod einer nahestehenden Person oder der Verlust des Selbstwertgefühls – führen zu Traurigkeit und Depression, Verletzung der Rechte Dritter löst Schuldgefühle aus, die Wahrnehmung zukünftiger Bedrohungen kann Ängste auslösen und der negative Vergleich mit anderen führt zu Schamgefühlen  (75 – 84). Genau diese Zusammenhänge von Situationen, Glaubenssätzen und Konsequenzen gilt es, mithilfe eines Arbeitsblatts zu analysieren (90). Weitere Techniken, die Reivich und Shatté zur ABC-Analyse vorschlagen, sind ein Emotionen-Tagebuch (88) und eine Beeper-Aktivität, bei der man einen Timer stellt, der in regelmäßigen Abständen piept und daran erinnert, automatisierte Gedanken im aktuellen Moment kurz zu reflektieren (71). Skill 2 nennt sich „Denkfallen vermeiden“. Auch diese Methode reflektiert die eigene Denkweise mit Bezug auf das Resilienz-ABC. Die Skill kann eher als ein Gesprächsleitfaden oder eine Checkliste verstanden werde, mithilfe derer Denkfallen analysiert werden können, die Ursache für verzerrte Einschätzungen von herausfordernden Situationen sind,  darunter das vorschnelle Ziehen von Rückschlüssen, pauschale Verallgemeinerungen oder die Tendenz, Dinge auf sich zu beziehen (96 – 122). Gewissermaßen eine Sonderform der Denkfallen wird in Skill 3 betrachtet: „Eisberge“. Wird in der ABC-Analyse einer Situation festgestellt, dass die Konsequenz unverhältnismäßig groß im Verhältnis zur Situation und der dazugehörigen Einschätzung bzw. Glaubenssatz ist, so gehen Reivich und Shatté davon aus, dass hier ein sog. Eisberg vorliegt: ein wenig bewusstes Denkmuster oder eine tief liegende Erfahrung. Diese Skill benötigt die Unterstützung durch eine Gesprächpartner*in, die mit Empathie helfen kann, diese tiefere Schicht aufzudecken (122 – 144).

Die weiteren Skills sind handlungsorientiert. In Skill 4 geht es um die „Herausforderung von Glaubenssätzen“: über die oben genannte ABC-Analyse werden zunächst Glaubenssätze herausgearbeitet und in ihrer Bedeutung für die Situation gewichtet, um dann den Blick zu weiten auf alternative Glaubenssätze, die in der Situation eine konstruktivere Rolle spielen könnten. Es werden Denkmuster entlang der Wortpaare „ich versus nicht ich“, „immer versus nicht immer“ und „alles versus nicht alles“ herausgearbeitet. Dabei ist die Genauigkeit in der Beschreibung besonders wichtig. Hierzu werden verschiedene Formulare angeboten, an deren Ende eine Neubewertung der ursprünglichen Situation stehen, in der häufig die anfänglichen Glaubenssätze an Bedeutung verlieren, und neue, konstruktivere Glaubenssätze hinzukommen und neue Handlungsoptionen eröffnen (146 – 167). Skill 5 setzt die Situation ins rechte Licht. Hier werden die einzelnen Glaubenssätze bezüglich einer Situation genommen und bewertet: Wie wahrscheinlich ist es, dass er schlimmste Fall eintritt? Wie sähe der beste Fall aus? Welches Ergebnis ist wahrscheinlich? Und wie können die nächsten Schritte aussehen? So werden aus Katastrophendenken – oder in manchen Fällen auch aus übermäßig optimistischem Denken – konkrete Lösungswege entwickelt, die zu bestmöglichen Ergebnissen in einer spezifischen Situation führen (168 – 185). Sind die vorherigen Skills gedacht für Situationen, in denen eine Person genügend Zeit hat, diese zu reflektieren, so sind Skills 6 und 7 für akute Problemlagen gedacht. In Skill 6 werden Atemtechniken, progressive Muskelentspannung, Imaginationsübungen und mentale Spiele trainiert, die helfen, in kritischen Situationen Spannungen abzubauen und Gedanken auf die Problemlösung fokussieren zu können (192 – 206). Skill 7 nennt sich „Echtzeit-Resilienz“ und basiert auf drei Leitsätzen, die helfen, Resilienz in einer kritischen Situation herzustellen und nicht-resiliente Denkmuster zu korrigieren, in denen Alternativen für die Einschätzung der Situation angedacht werden, nach Beweisen für die eigene Einschätzung gefragt und ein blitzschnelles Brainstorming nach möglichen Folgen gemacht wird, das – basierend auf dem bisherigen Training – vor allem konstruktiver ausfallen wird, sofern die Person im Vorfeld Resilienz entwickelt hat. Wichtig bei dieser letzten Skill ist, dass sie ohne die Vorarbeit zumindest einzelner der vorherigen Skills kaum wirksam sein wird (206 – 214).

Das auf der Methodik von Reivich und Shatté (2003) basierende Online-Training (Reivich o.J.) ist auf ganz andere Art strukturiert. Vor allem fällt auf, dass die für die Methodik scheinbar grundlegende ABC-Analyse komplett entfällt. Das Online-Training basiert aus vier Modulen und geht von einem Zeitaufwand von etwa 15 Stunden aus. Die Module bestehen aus  aus einer Mischung von Vermittlung theoretischem Wissen durch Kurzvorträge und Texte sowie zahlreiche praktischen Übungen und Gruppendiskussionen. Modul 1 führt den Begriff Resilienz ein und geht auf den Resilienzfaktor des Optimismus ein: Ein Optimismus-Fragebogen ermöglicht die eigene Standortbestimmung, anhand eines Videobeispiels werden einzelne Aspekte von Optimismus diskutiert. Modul 2 bezieht sich auf die Skills 2 und 7, also auf Denkfallen Echtzeit. Modul 3 beschäftigt sich im ersten Teil mit dem Umgang mit Ängsten und Katastrophen-Denken und bezieht sich Skill 5, im zweiten Teil dann mit der Steigerung positiver Emotionen, Bezug nehmend auf Skill 6, jedoch unter Verwendung anderer Techniken: Neben der Vorstellung einer einfachen Atemtechnik gibt es eine Kurzeinführung in Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion nach Kabat-Zinn (2013)[4] sowie eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Dankbarkeits-Ansatz nach Emmons (2007, 2013), unter anderem mit Dankbarkeitsübungen und dem Impuls, eine regelmäßige Dankbarkeits-Praxis im eigenen Alltag zu entwickeln. Modul 4 geht zunächst auf die Frage nach Charakterstärke ein, ein Bereich, der in den Skills des Resilienz-Trainings nach Reivich und Shatté (2003) keine Beachtung findet. Hier wird ein Selbsttest vorgeschlagen, in dem eigene Charakterstärken analysiert werden. Auf Grundlage dieses Selbsttests geht es um die Frage, wie Charakterstärken nutzbar gemacht werden können, um mit einem hohen Maß an Resilienz auf kleine und große Alltagssituationen reagieren zu können, und in welchen Situationen uns diese auch im Wege stehen können. Im zweiten Teil von Modul 4 geht es um die Stärkung von Beziehungen. Hier wird das ACR-Modell nach Gable eingeführt, das feststellt, dass vor allem ein aktiv-konstruktiver Stil, deren Vertreter*innen Reivich „Joy Multipliers“ nennt  (Reivich o.J.: 4.6), in der Lage ist, Beziehungen langfristig zu stärken. In der Arbeit mit dem ACR-Modell geht es um die Reflexion eigener Verhaltensweisen, um diese dann in aktiv-konstruktive Verhaltensweisen zu transformieren.

Der Umgang des Online-Kurses mit dem ursprünglichen Resilienz-Training zeigt, (a) wie flexibel und kreativ ein solches Training gestaltet werden kann, und (b) wie offen die Gestaltung ist für nicht-originäre Techniken, wie solche aus der Achtsamkeits- oder Dankbarkeitspraxis. Damit öffnet sich ein weiter Horizont für die Anwendung in der Eingliederungshilfe.

Diskussion der Anwendbarkeit auf die Eingliederungshilfe

Zwar konnte nachgewiesen werden, dass das Resilienzmodell eine nachweisliche Relevanz für Adressat*innen der Eingliederungshilfe hat. Das heißt jedoch noch nicht, dass diese Arbeit auch in den Kompetenzbereich der Sozialen Arbeit fällt. Somit möchte ich nun kurz die Zuordnung zur sozialarbeiterischen Praxis sowohl theoretisch als auch rechtlich herstellen, um dann pädagogische Implikationen bei der Implementierung von Resilienztrainings in der Eingliederungshilfe zu reflektieren.

Resilienzforschung sowie praktische Resilienzförderung scheinen, der Forschung und Literatur folgend, erst einmal der Disziplin der Psychologie zugeordnet und den dort tätigen Psychotherapeut*innen. Bernard (2010) stellt fest, dass sich sozialarbeiterische Fachkräfte insbesondere bei traumatisierten Adressat*innen nicht praktische Interventionen der Resilienzförderung zutrauten, „obwohl eine solide Grundausbildung und Empathie oftmals schon ausreichen würden“ (55). Die Soziale Arbeit gibt die Begleitung von Menschen in schwierigen Situation leicht an Psychotherapeut*innen und Psychiater*innen ab, obwohl davon auszugehen ist, dass eine zu starke therapeutische Fokussierung auf Trauma den Blick auf positive Entwicklungsmöglichkeiten vernebeln und eine Ressourcen-orientierte Soziale Arbeit zur Entwicklung von Resilienz deutlich beitragen kann (Bernard 2010: 55 f. und 62; Goldstein 1997: 29). Da die Adressat*innen der Sozialen Arbeit häufig einer Personengruppe angehören, der eine geringere Resilienz nachgewiesen wird, scheint sowohl in der Disziplin als auch der Profession der Sozialen Arbeit ein sinnvoller Ausgangspunkt für wissenschaftliche Resilienzforschung und praktische Resilienzförderung zu sein (Zander und Roemer 2016: 56 ff.). Mahler (2012) sieht das Erkennen, Messen und Stärken von Resilienz als eine grundlegende sozialtherapeutische – und damit sozialarbeiterische– Aufgabe[5] in der stationären wie ambulanten Betreuung von Suchtkranken an (75–79). Auch auf theoretischer Ebene knüpft das Resilienzmodell an die Soziale Arbeit an: das Resilienzmodell bestätigt den lebensweltorientierten Ansatz, in dem soziale Beziehungen eine wichtige Ressource darstellen und die Adressat*innen Expert*innen in eigener Sache sind, die – eingebettet in ihr soziales Umfeld – ihr Leben mit allen Anforderungen selbst in die Hand nehmen (Bernard 2010: 61 f.) Das Resilienzmodell kann außerdem als Ergänzung zum Empowerment-Ansatz verstanden werden, um in schwierigen und hoffnungslos wirkenden Lebenslagen Ressourcen zu aktivieren und die Adressat*in zur Problem- und Alltagsbewältigung zu befähigen (ebd., 62). Zander und Roemer (2016) kommen gar zum Schluss, dass sich die Soziale Arbeit „in besonderer Weise zur Resilienzförderung berufen“ fühle, sowohl im Hinblick auf ihre Zielgruppe als auch methodisch, da sie „auch auf die gesellschaftlichen Verhältnisse und Umweltfaktoren“ einwirken wolle und solle, weshalb „die Soziale Arbeit in ihrem Wirken immer schon die […] Ebenen im Blick [habe], die für den Erfolg von Resilienzförderung entscheidend sind“ (58). Erst einmal vermutete Zweifel der „Zuständigkeit“ der Sozialen Arbeit scheinen somit unberechtigt.

Die rechtliche Zuordnung von Resilienztrainings zu Leistungen der Eingliederungshilfe kann m.E. mit § 78 Abs. 1 SGB IX stattfinden. Hier heißt es: „Zur selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltages einschließlich der Tagesstrukturierung werden Leistungen für Assistenz erbracht. Sie umfassen insbesondere Leistungen für […] die Gestaltung sozialer Beziehungen, die persönliche Lebensplanung, die Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben […].“ Diese Assistenzleistungen könnten auch als Resilienztraining erbracht werden, insbesondere im Hinblick auf die eigenständige Alltagsbewältigung und die Gestaltung persönlicher Beziehungen, die mit erhöhter Resilienz realisierbarer und weniger krisenanfällig sind. Die weite Auslegbarkeit der Leistungen wird im Handbuch des Kostenträgers zum Teilhabeinstrument Berlin (TiB) gezeigt, wenn als mögliche Leistung der persönlichen Lebensplanung nach § 78 Abs. 1 SGB IX auf den sozialarbeiterischen und weitgefächerte Methodenkoffer von Doose (2004, 2020) zur Persönlichen Zukunftsplanung verwiesen wird (Schäfers 2020: 31). Ein ähnlich breit gefächerter Methodenkoffer ist das Resilienztraining, und es gibt keinen ersichtlichen Grund, warum es nicht für die Förderung der eigenständigen Alltagsbewältigung und die Gestaltung persönlicher Beziehungen nach § 78 Abs. 1 SGB IX eingesetzt werden sollte, zumal die positiven Konsequenzen der Forschung folgend sich ja auf sämtliche Lebensbereiche erstreckt. Des Weiteren liegt dem durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG) aktualisierten SGB IX der Behinderungsbegriff des bio-psycho-sozialen-Modells der International Classification of Functioning (ICF) zugrunde (Drucksache des Bundes 18/9552, 193). Derra und Schilling (2019) beschreiben Übereinstimmungen des bio-psycho-sozialen Modells der ICF mit dem Resilienzmodell:

„Eine Konkretisierung des Bio-Psycho-Sozialen Modells findet sich in dem Konzept der Resilienz. Jeder Mensch bringt eigene, individuelle Fähigkeiten für den Umgang mit den Anforderungen des Lebens mit. Diese ergeben sich aus dem Wechselspiel zwischen dem Menschen als Körper-Seele-Geist-Einheit und den Erfahrungen, die diesen Menschen im Laufe des Lebens prägen. (Derra und Schilling 2017: 47)

Somit ist neben der theoretischen auch die rechtliche Grundlage geklärt, um Resilienztrainings in der Eingliederungshilfe einzusetzen. So verbleibt als letzter und größter Punkt, in aller Kürze, die Frage nach praktischer Umsetzung von Resilienztrainings in der Eingliederungshilfe. Hier gibt es nur sehr vereinzelte Praxiserfahrungen, deren Dokumentation leider nicht öffentlich zugänglich ist. Fröhlich-Gildhoff (2021) hat Resilienztrainings durchgeführt, an denen sowohl Adressat*innen als auch Fachkräfte der Eingliederungshilfe teilgenommen haben. Außerdem geben Fröhlich-Gildhoff und Rönnau-Böse (Fröhlich-Gildhoff und Rönnau-Böse 2022: 65–88) einen Überblick über Resilienztrainings, die sie recherchiert haben. Beide Publikationen lassen nur sehr begrenzte Rückschlüsse über Inhalte und Abläufe der Trainings zu. So bleibt mir abschließend nur die Möglichkeit einer nicht literaturbasierten Kurzeinschätzung, die sich auf meiner eigenen Berufserfahrung basiert, wie sich Resilienztrainings in der Eingliederungshilfe umsetzen lassen. Niedrigschwellige Ausgangspunkte, die wir auch in meinem Arbeitsbereich schon mit Zuspruch von Adressat*innen und Fachkräften angewendet haben, sind Techniken aus der Achtsamkeitsbasierten Stressreduktion wie bewusstes Atmen oder andere kleine Übungen, die in wenigen Minuten zu erlernen sind und keine Vorerfahrung benötigen. Auch ein Dankbarkeitstagebuch (Lyubomirsky 2007: 91) ist eine praktisch nebenher einzurichtende Methode. Über diese für sich einzusetzenden Methoden hilft das Resilienzmodell im Verständnis von Biografien und Teilhabeeinschränkungen und kann – ein tiefergehendes Studium des Resilienzmodells vorausgesetzt – gewissermaßen als ein Element sozialer Diagnostik verwendet werden. Insbesondere die Resilienz-Skills nach Reivich und Shatté können hierzu dienen und auch Gesprächs-strukturierend in Beratungsgesprächen verwendet werden, ohne dort einem festen Plan folgen zu müssen. Sie können situativ eingesetzt und ihr Erfolg kann spielerisch ausprobiert werden, in Verbindung mit anderen sozialarbeiterischen Gesprächstechniken. Dies können erste Ausgangspunkte für die Resilienzförderung sein. Daraus können sich dann, zum Beispiel in Form eines Pilotprojektes, komplexere Resilienztrainings entwickeln. Aufgrund der mangelnden Erprobung von Resilienztrainings sei hier jedoch äußerste Vorsicht geboten, wie bei jedem Ansatz, der Neuland betritt. Idealerweise würden solche Implementationen wissenschaftlich begleitet, praktischerweise aber zumindest durch intensive Supervision.

Kritisch zu beachten ist, dass insbesondere bei extremen Begleitumständen, bei Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen oder bei stark impulsivem Verhalten vermutet wird, dass Resilienzfähigkeit und -training an ihre Grenzen stoßen können (Reivich und Shatté 2003: 91 f.; Zander und Roemer 2016: 68). In keinem Fall ist bei Resilienztrainings – ganz unabhängig von den individuellen Voraussetzungen – von schnellen Ergebnissen auszugehen. Das kommt jedoch der in der Regel langfristig angelegten Leistungserbringung der Eingliederungshilfe sehr entgegen (Bernard 2010: 62 f.).

 

Fazit

Mit diesem Text bin ich der Fragen nachgegangen, welche Relevanz das Resilienzmodell und Resilienzförderung für die Eingliederungshilfe nach dem SGB IX für Erwachsene mit (drohenden) körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderungen haben kann. Die Antwort bestand gemäß der Natur des Resilienzkonzepts aus zwei unterschiedlichen Perspektiven: Aus dem Blickwinkel des theoretischen und auf empirischer Forschung basierenden Resilienzmodells lassen sich Resilienzfaktoren ableiten, die dem Individuum Schutzfaktoren in Form von Ressourcen und Fähigkeiten verleihen, mit Krisen und widrigen Umständen konstruktiv umzugehen. Die Forschung konnte nachweisen, dass diese Schutzfaktoren letztlich bei allen Bevölkerungsgruppen gleichermaßen funktionieren, und daher eine nachweisbare Relevanz für die Adressat*innen der Eingliederungshilfe haben, also Menschen mit körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderungen sowie schweren psychischen Erkrankungen. Weniger eindeutig konnte ich die Anwendbarkeit von Resilienzförderung in der Eingliederungshilfe nachweisen. Mangels durchgeführter Forschungsprogramme im Bereich der Eingliederungshilfe konnte ich hier, ausgehend vom Resilienzprogramm der UPenn, bezüglich der Rahmenbedingungen der Eingliederungshilfe nur eher spekulativ und mit Rückgriff auf verhältnismäßig vage und unspezifische Literatur argumentieren, eine erste Vorstellung von möglichen Inhalten und Abläufen von Resilienztrainings geben und für die zukünftige Umsetzung von Modellprojekten plädieren. Die Unklarheiten des zweiten Teils sind somit Symptom für noch fehlende Umsetzungen in der Eingliederungshilfe.

Aufgrund des begrenzten Umfangs dieses Umfangs hat ein Aspekt der Vorarbeit keinen Eingang in die schriftliche Arbeit gefunden: die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Resilienztrainings, ihrer sehr fallweise variierenden Fachlichkeit, Dokumentation oder Anwendbarkeit im sozialarbeiterischen Alltag. Von der noch breiter als im Literaturverzeichnis gefächerten Lektüre bis hin zu meiner aktiven Teilnahme mit Abschlusszertifikat am UPenn-Resilienzprogramm (Reivich o.J.) ist in der Arbeit wenig zu sehen. Hier liegt sicher der Ausblick auf zukünftige Auseinandersetzungen mit der Thematik, die ich plane: die vertiefte Sichtung von Methoden und die Ausarbeitung eines an die Anforderungen der Eingliederungshilfe angepassten Resilienztrainings. Ohne jede Frage wird man dabei feststellen, dass „Resilienzförderung […] keine Zauberwaffe“ ist (Zander und Roemer 2016: 68) und dennoch ein für die Eingliederungshilfe und Soziale Arbeit inspirierender Ansatz sein könnte, vor allem auch mit Blick auf die Resilienz von Fachkräften  (Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit, Pflege und Prävention [BSGPP] 2023; Frajo-Apor u.a. 2016; Welter-Enderlin 2010: 35), ein weiteres Thema, das in dieser Arbeit keinen Platz fand. Auch eine bislang fehlende politische Kritik hole ich hier in letzter Sekunde nach:  Resilienztraining stellt keine primäre Intervention dar und die Arbeit mit Resilienz darf nicht vergessen lassen, dass die primären Umstände Verbesserungen bedürfen, anstelle mit Verweis auf Resilienz schlechte Lebensbedingungen zu entschuldigen (Bernard 2010: 63; Murray und Doren 2014: 192f.). Und dennoch, da es häufig nur bedingt in unseren Händen liegt, die primären Umstände zu ändern, bliebt Resilienz einer unter vielen Wegen, durch die sozialarbeiterische Begleitung in der Eingliederungshilfe Lebensqualität von Menschen zu verbessern. Allein das soll schon Ziel und Ansporn genug sein, diesen Satz nicht als Ende der Auseinandersetzung, sondern als Anfang zu nehmen.

Endnoten

[1] Eine aktuelle Neuerscheinung ist das Buch „Resilienz-Coaching“ von Reichhart und Pusch (2023). Auch dieser Ansatz richtet sich an Menschen ohne die Erfordernis einer spezifischen Ausbildung als Coach oder Psychotherapeut*in (29). Der Ansatz stellt zwar im Rahmen von Literaturanalysen im Verlauf des Buches immer wieder Forschungsergebnisse dar und nimmt diese als Grundlage, wurde aber als eigenständiger Ansatz nicht wissenschaftlich erforscht.

[2] Eigene Übersetzungen der Skills. Blickhahn (2018) übersetzt die Skills wie folgt: „1. Denkmuster erkennen und konstruktiv nutzen 2. ‚Denkfallen‘ vermeiden 3. ‚Eisberge‘ entdecken 4. Problemlösend denken 5. sich auf das Wichtige konzentrieren 6. Ruhe finden 7. Anwenden“ (67). M.E. trifft Blickhans Übersetzung die inhaltlichen Ausrichtungen einzelner Skills nicht ausreichend.

[3] ABC ist im Englischen ein Akronym für die drei Schritte dieser Skylla: A für „adversity“, B für „beliefs“ und C für „consequences“ (Reivich und Shatté 2003: 66).

[4] Für die Arbeit mit Achtsamkeitsbasierter Stressreduktion bei Menschen mit psychischen Erkrankungen, insbesondere Psychosen, ist die Arbeit von Böge und Hahn (2021) in der Psychiatrischen Abteilung des Berliner Universitätsklinikums Charité / Benjamin Franklin Klinikum von besonderem Interesse. Böge und Hahn suchen den Kontakt auch direkt zu Einrichtungen der Eingliederungshilfe. Dies wäre sicher ein interessantes, eigenständiges Thema.

[5] Auch wenn die Sozialtherapie nicht in die Eingliederungshilfe fällt, sondern nach § 37a SGB V eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherungen ist, stärkt dieser Verweis die Begründung, dass Resilienzförderung durchaus in den Kompetenzbereich von Sozialarbeiter*innen fällt.

Literaturverzeichnis

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Joel Roerick

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